Mit viel Aufwand hat das Schauspiel Bochum den Stoff „Werther (Love & Death)“ auf die Bühne gebracht. Der Abend, zu einer zweistündigen Performance mutiert, präsentiert sich gewöhnungsbedürftig. Regie führte Lies Pauwels. Wie dreht man einen bekannten Stoff auf Links? Diese Performance, anders kann man es leider nicht bezeichnen, nimmt sich eine traditionellen Geschichte vor, mixt die Figuren undefinierbar durcheinander, fragmentiert den Text und lässt ihn inhaltlich gewohnt im Suizid enden. Texte werden wie Monologe in Mikrofone gesprochen. Dialoge sucht man vergebens. Der Rest sind schlecht umgesetztes Physical Theatre von ausgebildeten Schauspielern und Amateuren, oft gewöhnungsbedürftige Requisiten, eine mutige Kostümparade und zugegeben guter Gesang. Die Bühne wird in einen vorderen und einen hinteren Bereich aufgeteilt. Vorne agieren die Profis, also Dominik Dos-Reis, Marius Huth, Lukas von der Lühe und Risto Kübar. Sie laufen mit ihrer unglücklichen Liebe gemeinsam dem Tod entgegen, ohne feste Rollennamen, völlig entpersonalisiert. Dahinter agieren talentierte Nachwuchsschauspielerinnen, alles weibliche Teenies (Sevval Ertürk, Kaja Gruba, Katharina Klos, Tabeo Zoi Sander, Helin Su Yusufoglo), die die positiven Seiten des Lebens darstellen sollen. Man interagiert miteinander, ohne das Ende weniger tragisch zu gestalten. Schon alleine die Tatsache, dass keine Dialoge vorhanden sind, spricht dem Abend die Bezeichnung Schauspiel ab. Mit dem großen Goethe hat das wenig zu tun. Was anfangs als noch befremdlich einzustufen ist, entwickelt sich im Laufe mehr und mehr zu einem Gagaismus. Die an sich sonst guten Profi-Schauspieler werden zu Performern, können ihr eigentliches Können gar nicht ausschöpfen, dabei gäbe der Stoff inhaltlich doch so viel her. Für sportliche Übungen genügt ihr Schauspielstudium so gerade noch, aber wenn es ums Tanzen geht, bei modernem Ausdruckstanz oder klassischem Ballett, sollte man lieber Fachkräfte agieren lassen. Man verspürt wirklich Mitleid mit Marius Huth oder Risto Kübar wenn sie am Ende im Tutu den verstorbenen Schwan im Jenseits klassisch mimen sollen. Stacksiger und peinlicher geht es kaum. Hier trifft Slapsick auf einen klassischen Theaterstoff von 1774, völlig daneben. Lies Pauwels setzt auf Länge, statt auf eine kompakte Darstellung des Stoffs. Dabei müsste sie das Thema Tod nicht noch immer weiter vertiefen und wiederholen. Das Ende ist früh absehbar. Ja, Werthers Leben neigt sich dem Tod entgegen. Immer wieder kommt jedoch eine weitere Überraschung von der Seite daher. Überdimensionierte Stofftiere, die selbst in kaum einem Kinderzimmer Platz finden würden, müssen als Objekte der Sehnsucht nach Liebe herhalten. Wild bewegt man sie über die Bühne. Als Übergang ins Jenseits dient ein tollwütiges Einhorn mit geflochtenen Zöpfchen, um das sich die Akteure wild bewegen, eine völlig deplatzierte Anbiederung an die jungen Zuschauer, die mit solchen Wesen aufgewachsen sind. Ist das ein Abend für ein Publikum 4+, also Kindertheater? Inhaltlich ganz bestimmt nicht. Es kommt einem aber manchmal so vor. Sterben ist auch ganz einfach. Man wirft sich gemeinsam schlicht auf den Boden. Endlich ist Werther im Jenseits und der Abend bald zu Ende. Alles schwankt zwischen zu viel profaner Geste und einer zu sehr in die Länge gezogene Ernsthaftigkeit, zwei Elemente, die einfach nicht miteinander harmonieren. So ein ziemlich misslungenes Theaterexperiment hat aber trotzdem auch positive Seiten. So ist der Soundtrack wirklich klasse gelungen. Da sind jede Menge gute Töne dabei, bekannte und unbekannte, von leisen Pianos bis elektronisch tanzbar. Höhepunkt ist dabei „Space Oddity“ von David Bowie, gesungen von einem Kinderchor. Marius Huth an der Trompete und Risto Kübar gesanglich am Mikro können später mal live zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Da lauscht man gerne. Insgesamt ist hier viel Flickwerk zu erleben, was junge Theaterbesucher vielleicht noch lustig finden, aber auch nicht alle. Den fünf Amateurinnen kann man keinen Vorwurf machen. Sie sind Teenies und talentiert, aber keine fertigen Bühnenprofis. Warum sind so viele Textpassagen aber auf Englisch, mit deutschen Übertiteln? Möchte man den New Yorker Broadway nach Bochum locken, das Haus zur Met des deutschen Schauspiels werden lassen? Goethe war bekanntlich ein deutschsprachiger Staatsbürger und Bochum befindet sich noch immer bodenständig und sympathisch im Ruhrgebiet. „Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau“, sang einst der große Sohn der Stadt. Was haben die vielen englischen Passagen hier zu suchen? Hat man etwa die renommierten Theaterfestivals im Ausland mehr im Blick als das interessierte Theaterpublikum des Ruhrgebiets? Ein böser Verdacht in Richtung der Regisseurin. Eine durchdachte Inszenierung ist dieser Abend ganz sicher nicht. Der schmale Grad der Modernität wird stilistisch deutlich verfehlt. Von einer guten Regie ist Lies Pauwels meilenweit entfernt. Datum: 1. November 2024 www.schauspielhausbochum.de |
Performance 'Werther (Love & Death)' im Schauspiel Bochum, Foto: Fred Debrock nächstes Foto |