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Schauspiel '#vergissmeinnicht' im Schlosstheater Moers
Das Schlosstheater Moers widmet sich mit dem intelligent inszenierten Stück „#vergissmeinnicht“ von Sandra Höhne und Ulrich Greb spannenden Themen, dem Tod und der KI. Können künstlich erschaffene Wesen die Trauer mildern oder sogar einen Menschen ersetzen? Können und wollen wir der KI entkommen oder wird sie uns vollständig kontrollieren? Intendant Ulrich Greb hat Regie geführt.

Ausgangspunkt ist das Krebsleiden von Mutter Sophia (Joanne Gläsel). Die Medizin lässt sie nicht mehr an sich heran. Sie bewertet die schablonenhafte Behandlung als eine langwierige Hinrichtung ohne Aussicht auf Erfolg. Sophia möchte selbstbestimmt sterben und sich möglichst viel an Leiden ersparen. Ihr Mann Marc (Matthias Heße) kann mit ihrem kommenden Ableben nicht richtig umgehen. Außerdem gibt es noch die Söhne Adam (Roman Mucha) und Eric (Georg Grohmann). Der eine ist ihr Lieblingssohn, der andere wurde vernachlässigt. Trotz allem Leid zeigen sich emotionale Gräben in der Ehe und unter den Söhnen.

In dieser Ausnahmesituation reift bei Eric der Wunsch, einen von einer KI gesteuerten, androiden Roboter zu bestellen. „Eterni:my 3000“, so sein Name, soll den Verlust ersetzen. Bei Greta (Emily Klinge) ist das kein Problem. Das Paket kommt postwendend, samt Anleitung und Fernzugriff für Programmierung und IT. Obwohl Sophia das Spiel erst kritisch beäugt, sieht sie bald die Vorteile, denn die Familie lässt sie mehr und mehr alleine, die Einsamkeit wächst. Da ist ihr Eterni:my plötzlich sehr recht. Durch die Kommunikation programmiert sich der Avatar selbst, übernimmt ihre Sätze und wird zur künstlichen Kopie von Sophia.

Die künstliche Dublette drückt sich im schönen Bühnenbild sehr gut aus. Es ist ein seitenverkehrtes Spiegelbild. Man hat das Gefühl in einem nett ausstaffierten Möbelgeschäft zu sitzen, mit angenehmer Begleitmusik. An beiden Enden befinden sich Besuchertribünen. Auf Bildschirmen werden welkende Blumen und eine südkoreanische Mutter gezeigt, die ihr verstorbenes Kind als Avatar durch eine VR-Brille betrachtet, um mit ihm zu reden, eine wahre Begebenheit. Trotz der beiden Spielrichtungen bekommt man alles gut mit. Die Texte werden per Mikro und als Texteinblendung verstärkt.

Die Feel-good-Möbelwelt wirft jedoch schnell Fragen auf, auf die wir noch keine so richtige Antwort finden. Den Tod verdrängen wir gerne als Teil unseres Lebens. Wir alle sind Sterbende, nur der Zeitpunkt ist noch ungewiss. Möchten wir von Kleinlebewesen zersetzt oder verbrannt werden? Der Verwesungsprozess wird chemisch-biologisch erklärt, keine schöne Vorstellung, denn man nimmt auch hier kein Blatt vor den Mund. Sophia hat keine Angst vor dem Tod, nur vor dem Sterben. So kommt die Frage nach Sterbehilfe auf, die in Deutschland nicht gestattet ist. Wie möchten wir sterben? In der Regel möglichst schmerzfrei, werden die meisten antworten. Nun wird die Handlung sehr deutlich. Den eigenen Tod herbeizuführen ist gar nicht so einfach, teils fehlt es auch am letzten Mut. Wer in Sachen Suizid negativ vorgeprägt ist, sollte sich den Besuch besser überlegen.

Eine noch viel schwierigere Frage ist die nach dem Einsatz der KI. Wird ihre Hyperintelligenz die Menschheit eines Tages erdrücken? Eterni:my lernt in rasender Geschwindigkeit die Sprache und die Eigenschaften von Sophia und ist dabei auch noch unsterblich. Kann ein Avatar aber die echte Sophia ersetzen? Man arrangiert sich miteinander, erfährt am Ende aber auch, dass das künstliche Wesen ein Eigenleben entwickelt hat und die Menschheit auch mal im Stich lassen kann. Macht die KI uns also zu Abhängigen, die unter Entzug als hilflose Wesen in Therapiegruppen landen?

Das Stück zeichnet ein sehr gespaltenes Zukunftsbild, das heute teilweise schon real ist. Manch einer verfällt der KI wie einer Religion und ordnet ihr das ganze Leben unter. Wer das vermeiden möchte, für den bleibt nur noch ein naturbelassener Flecken Erde auf einer fernen Insel, besiedelt von einem Urvolk, wohin die KI es so schnell nicht hin schaffen wird. Dort studiert man dann den Gesang der Vögel. Einen Kompromiss scheint nicht zu existieren. Der schweigende und sorgenvolle Blick von Sophia spricht am Ende für sich. Aus der Feel-good-Möbelwelt wird nun endgültig gefühlt ein Horrorszenario eines digital-realen Labors … und wir sind die Versuchskaninchen.

Dieses sehr berührende und klasse inszenierte Stück spricht deutlich die Probleme unserer Zeit an. Gehen wir unter oder arrangieren wir uns mit dem digitalen Fortschritt? Wohin steuert die Menschheit?

Außerdem empfiehlt sich der kostenfreie Besuch im benachbarten Pulverhaus, wo die ebenso berührende Ausstellung „I am not my body“ von Vanessa Abajo Pérez zu erleben ist, die auch bereits auf der „documenta fifteen“ in Kassel zu sehen war. Vor der Projektion eines lodernden Feuers befinden sich verschiedene Stühle. Sie alle gehörten jeweils einem Verstorbenen, dessen verkürzte Lebensgeschichte als QR-Code abgerufen werden kann. Die Ausstellung kann vor der Vorstellung oder noch eine Stunde nach Ende besucht werden. Sollte man sich nicht entgehen lassen.

Datum: 19. Februar 2023

www.schlosstheater-moers.de