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Schauspiel 'Die Laborantin', ein Gastspiel des Staatsschauspiel Dresden im Schauspiel Duisburg
Mit dem sensationell guten Stück „Die Laborantin“, ein Gastspiel des Staatsschauspiel Dresden, blickte das Schauspiel Duisburg in eine Zukunft, die so ausgeschlossen gar nicht ist.

Autorin der sehr gut verfassten Zukunftsdystropie ist die Schauspielerin Ella Road. Sie stellte fest, dass es viel zu wenige weibliche Hauptrollen gibt und machte sich ans Werk. „Die Laborantin“ war 2021 das am meisten gespielte Stück auf deutschen Bühnen. Die Regie übernahm Adrian Figueroa, ein Filmregisseur, der dazu noch den brillanten Video-Fachmann Victor Morales aus den USA mit ins Boot holte. Irina Schicketanz kümmerte sich um die klasse Bühne und auch die Kostüme von Malena Modéer passen. Herausgekommen ist eine Art Gesellschaftsthriller mit einem parallelen Strang einer humorvoll-tragischen Liebesgeschichte, die richtig gute Situationen, Dialoge und Wendungen zu bieten hat. Beide Stränge verweben sich zum Ende hin immer stärker.

Es ist die reale Vision einer britischen Gesundheitsministerin, die 2017 die Idee laut äußerte, schon bald die Genetik über wichtige Aspekte unseres Alltags entscheiden zu lassen. Die medizinische Forschung bräuchte mehr und mehr Daten der Menschen, um den Traum eines noch längeren Lebens wahr werden zu lassen. Ella Road machte daraus einen Bluttest, der auf einer Skala von 0 bis 10 die Menschen einordnet, ihnen zugleich ihre kommenden Krankheiten vor Augen führt und die ungefähre Lebenserwartung abschätzt. Ab 7,7 aufwärts ist man auf der sicheren Seite. Selbstverständlich ist dieser Test freiwillig, doch fast alle Unternehmen nutzen den persönlichen Wert eines Bewerbers für die Einstellungskriterien. Auch bei sich anbahnenden Liebesbeziehungen in Online-Portalen achtet man auf seinen ähnlichen Gegenüber. Der eigene Gesundheitswert ist wichtig für Versicherungen oder Kreditverträge. Ratisten und Antiratisten, die die sich dem System nicht beugen möchten, stehen sich unfreundlich bis radikal gegenüber.

Wo Wettbewerb ist, da ist der Betrug oft nicht weit. So wird die Laborantin Bea (Karina Plachetka) zuerst in eine Liebesgeschichte mit Aaron (Simon Werdelis) verwickelt, um anschließend ihrer Freundin Char (Laina Schwarz) für einen Job einen hohen Gesundheitswert illegal auszustellen. Schließlich bekommt sie Geschmack am Fälschen und bleibt dabei nicht alleine. Aus einem Wert von 2,8 wird gegen Geld schnell mal eine 7,5.

Beide Stränge verlaufen zunächst erfolgreich. Aus Schuldenrückzahlungen wird eine schicke Wohnung und Aaron, ein mittlerweile erfolgreicher Jurist, der ihr Ehemann wird. Langsam zeigt das Stück auf, dass die Situation immer angespannter wird. Der sehr gute und dezente Soundtrack deutet an, dass das Ende kein Gutes sein wird. Bea hat zwar einen guten Wert von 7,1, aber Aaron, angeblich mit 8,9 getestet, möchte einfach kein Kind, betrinkt sich immer öfter. Obwohl beide betonen, nur auf die Liebe zu hören und nicht auf den Wert des Gegenüber zu schielen, möchte Bea die perfekte Familie designen, mit einem perfekten Kind. Bis zu einem Wert von 3,1 darf man ein Kind straffrei abtreiben. Bea ist es, die das Testsystem zur Ausmerzung von Krankheiten für sinnvoll erachtet. Sie hält es für ethisch und spielt dabei eine Doppelrolle als Fälscherin für andere niedrig getestete, allerdings nicht aus Barmherzigkeit. Sie strebt das Leben im Luxus an.

Eine besondere Rolle spielt im Stück der Krankenhaus-Hausmeister David (Holger Hübner), der mit einem Wert über 9 seit 33 Jahren Ehe einen wesentlich höheren Wert aufweist als seine Frau. Beide sind glücklich und entspannt. Die wissenschaftlichen Entwicklungen kümmern sie überhaupt nicht. Er raucht. Der gesundheitliche Optimierungswahn beeinflusst sie in keinster Weise. Er ist immer im Bilde und taucht in passenden Szenen wieder auf, während Bea, mit Beginn der Schwangerschaft stets nervöser wird. Es kommt wie es kommt. Auch Aaron hat sich einen falschen Testwert gekauft. Die Situation eskaliert, ohne dass der Humor in den Dialogen zu kurz kommt. Extrem gut gemacht sind die Video-Zwischenschnitte, wo Social-Media-Stars Tipps geben, einen höheren Wert zu bekommen, natürlich gegen Cash. Es wird von einem Mord an einem prominenten Opfer berichtet, das einen hohen Wert hatte. Um an gutes Blut für eine Blutwäsche zu kommen, müssen Menschen sterben, besonders die, die ein langes und erfolgreiches Leben vor sich gehabt hätten. Das System schießt sich selbst ins Knie.

Dieses Stück ist eine laute Warnung an Forscher, Gesundheitspolitiker oder Krankenkassen, es nicht zu übertreiben. Wie Hausmeister David es im Stück ganz nebenbei bemerkt, gibt es keinen perfekten Menschen. Er lässt sich auch nicht züchten. Mit einer Erbkrankheit stirbt man evt. ein paar Jahre eher, aber das Sterben gehört zum Leben dazu. Char macht es Bea vor. Sie macht eine kleine Weltreise und Karriere in den USA, trotz niedrigem Wert, mit dem sich sehr gut leben lässt. Dürfen wir Menschen mittels digitalen Gesundheitswerten gesellschaftlich höher oder niedriger stellen? Warum erfreuen sich die Menschen nicht an der aktuellen Gesundheit und blicken sorgenvoll auf zukünftige Erkrankungen? Zählt wirklich nur der Leistungsgedanke, Selbstoptimierung und sonst nichts?

Was ist überhaupt Gesundheit? Das wunderbare Programmheft zitiert die Präambel der Verfassung der WHO von 1948. Die Erklärung ist viel umfassender als wir denken. Ein klasse Text von Thomas Schulz beschreibt, wie weit sich die Medizin heute schon im Optimierungswahn befindet, der Digitalisierung wegen und mit allen Risiken des Datenmissbrauchs behaftet. Ziele wie die ewige Jugend, der Sieg über den Krebs oder Designerbabys sind unter Forschern durchaus Themen, an denen gearbeitet wird. Noch ist der Zustand dieses Theaterstoffs nicht Realität, aber weit davon entfernt sind wir nicht mehr. Man sollte darüber nachdenken, was sinnvoll und was eher kontraproduktiv ist. Wie heißt es so treffend im Stück: „Die Welt da draußen ist schlecht“. Dem ist aktuell nichts hinzuzufügen.

Datum: 16. Oktober 2022

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