Das Grillo Theater in Essen holt mit der Uraufführung „non-existent“ von Natalka Vorozhbyt die Kriegsrealität der Menschen in der Ukraine auf die Bühne. Wie gehen ukrainische Flüchtlinge in Deutschland mit ihrer Situation um? Wie definieren sie für sich den Begriff Heimat? Regie führte Andreas Merz-Raykov. Er nahm sich einem Stoff an, der jeden Tag unbewusst durch die Nachrichten rauscht und doch so bewusst nicht erwähnt wird. Ukrainische Frauen leben in Deutschland oder anderswo in Europa, während ihre Männer das Land nicht verlassen dürfen. So sitzen hier die Oma (Ines Krug), die Mutter (Sabine Osthoff) und die Tochter (Beritan Balci) in einer europäischen Metropole an einem Tisch, während der Vater (Philipp Noack) in seinem Heimatland bleibt. Mit dabei haben sie ihren Kater (Jan Pröhl), der seine ganz eigenen Ansichten hat und ein Eigenleben führt. Er ist derjenige, der den drei Frauen den Spiegel vorführt und selbst immer wieder in Turbulenzen gerät, seine neue Heimat verliert und sich neu orientieren muss. Jeder der Individuen ist damit beschäftigt, sich ständig neu zu verorten, den Begriff Heimat zu definieren. Unsicherheit prägt ihren Alltag. Soll man zurück in die Ukraine, in den Krieg, wo jede Minute eine russische Rakete das Leben beenden könnte. Der Ehemann in der Heimat begegnet dieser Gefahr mit seinem ganz speziellen Humor. In Video-Telefongesprächen spielt er den Soldaten, der tapfer sein Land verteidigt und doch nur vor einer Kulisse in seiner Wohnung sitzt. Er geht sogar so weit, den kalifornischen Traum vom Easy-Living zu mimen. Eingezogen möchte er als Schisser nicht werden. Vielleicht lässt sich dort der Alltag nur so ertragen. Die drei Frauen sind sich jedenfalls nicht immer einig, wo denn gerade ihre Heimat sein soll, im sicheren Westen oder im Kriegsgebiet. Was existiert von dem alten Leben überhaupt noch? Ist nicht längst alles zerstört? Es kommt zu Konflikten. Man lebt mal hier und mal da, träumt sich weg oder hat Albträume von Folter oder den Kämpfen an der Front. Immer wieder tauchen Ängste auf, vor Dunkelheit oder Putins Knopf mit der Atombombe? Auch so eine Frage im Hintergrund. Das Stück ist auch deshalb spannend inszeniert, weil es Figuren um diese Frauen herum gibt. Den Kater spielt Jan Pröhl ganz hervorragend. Er hat eine externe Sicht auf die Dinge, kommentiert sie und sucht nach Stabilität und Sicherheit, doch auch er erlebt immer wieder Enttäuschungen, wenn es um Freundschaft geht. Er entwickelt sich gefühlt beinahe zur Hauptfigur des Stücks. Jan Pröhl besitzt durch seine besondere Art so gut wie immer eine starke Bühnenpräsenz, egal in welcher Rolle. Auch der Nachbar (Lene Dax) ist eine klasse gespielte Figur. Sie stellt die Sicht der Bevölkerung auf die Flüchtlinge dar, manchmal einfach nur skurril. Schauspielerisch gibt es insgesamt nichts zu meckern. Ein besondere Rolle spielen drei Statistinnen: Oksana Zhuk, Mariia Apostolova und Lidiia Hontariuk. Sie sind ebenfalls Großmutter, Mutter und Tochter, geflohen aus der Ukraine und nun heimisch in Essen. Tochter Oksana tritt in einer Szene sehr bewegend an das Mikrofon, um die Umstände ihrer realen Flucht zu schildern. Alles ging ganz plötzlich. Man musste weg, sein Leben hinter sich lassen. Es sind wirklich besondere Momente an diesem Abend. Hier merkt man, dass man als SchauspielerIn nur eine eine begrenzte Möglichkeit hat, die dargestellten Themen wirklich hundertprozentig echt zu mimen. Es ist ein schwerer Stoff, der jedoch mit gutem, fast schwarzem Humor gewürzt ist. Die gesamte Grausamkeit der Realität wird nicht dargestellt, eher angedeutet. Die wahren Grausamkeiten wären wohl auch nur schwer zu vermitteln. Trotzdem ist es ein bewegender und sehr guter Abend mit einem wichtigen Thema, das uns täglich umgibt. Datum: 29. Februar 2024 www.theater-essen.de |
Schauspiel 'non-existent' im Grillo Theater in Essen, Foto: Nils Heck nächstes Foto |