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Oper 'Fidelio schweigt.' im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen
„Fidelio schweigt“ lautet der Titel der sehr gelungenen Uraufführung im Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen. Die Dialog-Oper von Charlotte Seither ist ein Auftragswerk des MiR und hinterfragt die Handlung von Beethovens Ur-Version.

Manch ein Stoff stammt aus einer Zeit, in der die Rollenbilder noch ganz anders aussahen. Frauen mussten sich schon in Männer verkleiden, um ernst genommen zu werden oder um etwas zu erreichen. So geht es auch Leonore (Ilia Papandreou). Um ihren Geliebten Florestan (Martin Homrich) aus dem Kerker zu befreien muss sie im Original optisch das Geschlecht wechseln. Die Dialog-Oper belässt sie im eigenen Geschlecht, lässt einige Figuren ganz weg und verändert auch die Handlung spürbar. Was passiert, wenn die Befreiung des Geliebten nicht gelingt? Charlotte Seither hat Beethoven mit ihren eigenen Ideen sehr gut verwoben. Szenisch und musikalisch sind die verschiedenen Teile meist zu unterscheiden, auch weil die Unterbühne geschickt eingesetzt wird. Ein Hotelraum dient als konspirativer Ort, wenn es um entscheidende Dialoge und Themen geht. Gesellschaftspolitische Ideen stehen im Fokus, private Beziehungen im Hintergrund. Filmszenen werden teils mit Text als Geschichte eingeflochten, Leonore beim Schießtraining, bedrohliche Wellenberge über dem Gefängnis sowie stille Dunkelheit. Sie verdeutlichen ihre Gedanken und führen zum tödlichen Ende, ein geschickt dargestellter Doppel-Mord, nur durch Lichtblitze inszeniert.

Der Abend stellt Fragen. Darf man als Mächtiger Gesetze übertreten? Wie sieht ein Einsatz für Staat und Volk tatsächlich aus? Der Druck wird jeweils von oben nach unten weitergeben, inklusive Bestechungen und der Struktur der Machtspirale. In vielen Ländern der Erde existieren ähnliche Machtstrukturen mit unschuldigen Inhaftierten. Politisch motiviertes Handeln steht ganz oben, wobei man den Skrupel der Ausführenden und ihre Selbstzweifel nicht vergessen darf. Ist Gewalt für den Machterhalt nötig? Ziehen Mächtige nicht automatische Schuld auf sich? Leonores Handeln ist ein blutiger Kampf für allgemeine Gerechtigkeit.

Zu erwähnen sind definitiv zwei Dinge, der Damenchor und das Bühnenbild. Der Chor tritt z.B. als Vertreter des Protestes auf, mit sehr intensiver Bühnenpräsenz. Er ist für die Handlung wirklich unverzichtbar, stellt Unterdrückung, Leid und Aufruhr ausgezeichnet dar. Man hört Fantasiesilben, Windlaute oder Zischen. Auch die Kostüme sind sehr passend gewählt, vom Einheitslook der Gefangenen bis hin zum feinen Zwirn des Gefängnisleiters. Ein dickes Lob bekommt sie Bühne, sehr abwechslungsreich. Egal ob der Gesprächsraum der Gefangenen, der bedrückende Gefängnishof mit orangem Licht, der Hotelraum oder der Kerker mit seinen Ketten, alles ist sehr ausgezeichnet dargestellt, musikalisch begleitet von der Neuen Philharmonie Westfalen, die die neue und alte Partitur in Blöcken geschickt verknüpft.

Wie würde man selbst handeln? Sich fügen oder sich möglichst geschickt widersetzen? Würden wir für die gesellschaftliche Gerechtigkeit auch zur Waffe greifen, radikal werden? Erreicht man sonst nichts? Das Revolutionäre ist an diesem Abend spürbar, in einer Zeit, in der nicht wenige Menschen ihre Gewaltbereitschaft spürbar erhöht haben. Man nimmt so manchen Gedanken mit nach Hause. Charlotte Seithers Version ist definitiv realistischer dargestellt als das Original, wenn man die heutige Weltordnung betrachtet. Den Schlusspunkt setzen ein Streichquartett als Sinnbild des guten, tugendhaften Menschen, eine Rede ohne Worte, bzw. nur ein Fingerzeig. So holt man Beethovens „Fidelio“ in die Gegenwart. Wir passend!

Datum: 12. Mai 2024

musiktheater-im-revier.de



Oper 'Fidelio schweigt.' im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, Foto: Karl und Monika Forster

Oper 'Fidelio schweigt.' im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen

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