Auf eine wichtige Zeitreise geht das Theater Oberhausen mit der eindrucksvollen Auftakt-Premiere von „Oratorium: Doycland“. Es dreht sich überwiegend musikalisch alles um die Gastarbeiter der vergangenen Jahrzehnte, ihre Erlebnisse und ihre Lieder. Mit dem Wirtschaftswunder wuchs die Nachfrage nach Arbeitskräften. Vorwiegend in Südeuropa wurden junge Männer ab 1961 mit schönen Versprechungen nach Deutschland gelockt. Hier sollte das Paradies sein, doch ihre Erwartungen wurden oftmals nicht erfüllt. Sie waren nur Arbeitnehmer zweiter Klasse, die schlecht behandelt und bezahlt wurden. Deutschland war für sie ein Land, das selten lächelt, eine bittere, neue Heimat. Ihr Traum war oftmals ein Mercedes W123, äußerst robust und ein Statussymbol. Dieses Auto stand für Deutschland. Besaß man ihn als Gastarbeiter, hatte man es zu etwas gebracht. Genau dieses Modell hat Regisseur Caner Akdeniz auf die Bühne gestellt, in den Mittelpunkt. Es ist der Erzähler des Stücks, gesprochen von Sven Seeburg. Die Idee ist einfach klasse, denn die Worte vermitteln Hoffnung, harte Arbeit, Rassismus, Ausgrenzung, schöne Reisen in die Heimat, die harte Arbeit, die Familie oder die Sehnsucht nach einem kleinen Stückchen Glück im Leben. Der Benz verwandelt sich dabei ganz verschieden. Man füllt er sich mit Nebel, leuchtet innen oder wird nachdenklich mit Kerzen geschmückt, denn auch die ausländerfeindlichen Tragödien von Rostock, Mölln oder Solingen sind bis heute nicht vergessen. Der Wagen ist schlichtweg das Zentrum des Stücks, die Bühne aus Blech. Rund um das Auto dreht sich der Liederabend mit Ronja Oppelt und Khalil Fahed Aassy als Gesangsparts. Es sind die Songs der Gastarbeiter, in ihren Muttersprachen oder teilweise ins Deutsche übersetzt. Sensationell, wie beide sich in das türkische, serbische, spanische oder griechische Liedgut verinnerlicht haben, auch in ihren Bewegungen. Insbesondere Ronja ist ein echtes Fremdsprachentalent. Mit zunehmender Lebensreife wird sie stetig besser. Sie scheint die fremden Kulturen regelrecht aufgesogen zu haben. Fremdsprachliche Mitarbeiter des Theaters haben bei der Aussprache großartige Hilfestellung geleistet. Die Besucher bekommen die ins Deutsche übersetzten Texte angezeigt. Eine richtig klasse Leistung, wie auch die der vierköpfigen Band. Ein traditionelles Saz hört man so wunderschön gespielt nicht alle Tage. Es vermittelt die Sehnsucht in in die türkische Heimat. Dabei wechselt die Stimmung der Lieder. Melancholie, Trauer, Enttäuschung oder Freude spürt man auch, wenn man die Sprache selbst nicht versteht. Beim Song „Liebe Gabi“ tanzt das Publikum mit. Ronja versteht es perfekt, alle mitzureißen. Italienisch wird leider nicht gesungen, aber „Zwei kleine Italiener“ werden eingespielt. Es ist ein Abend gegen das Vergessen. Von den Gastarbeitern wurde verlangt, dass sie sich integrieren, Sauerkraut mit Schweinefleisch essen und deutsches Bier trinken, ganz gegen ihre Gewohnheit. Ihre Töne haben wir Deutschen nie gehört oder wollten sie nicht hören. Sie sind voller Gefühle, positiv oder negativ. Auch den Abspann auf der Leinwand sollte man sich ansehen, ein filmisches Making-Of des Stücks. Man hatte hatte offenbar viel Spaß bei den Proben. Datum: 7. September 2024 theater-oberhausen.de |
Schauspiel 'Oratorium: Doycland' im Theater Oberhausen, Foto: Axel J. Scherer nächstes Foto |