Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (MiR) präsentiert das Musical „Hello Dolly“ von Jerry Herman sehr schwungvoll, bunt, leichtfüßig und optisch als eine echte Augenweide. Es ist eine typisch amerikanische Geschichte, eine Mischung aus gesellschaftlichen Normen, der Sehnsucht nach Wohlstand und sozialer Sicherheit, ein gefundenes Fressen für Heiratsvermittlerin Dolly Levi (Anke Sieloff). Sie möchte die New Yorker Hutmacherin Irene Molloy (Julia Heiser) mit mit dem eher griesgrämigen Horace Vandergelder (Dirk Weiler) verkuppeln. Gar nicht so einfach! Am Ende überzeugt Dolly ihn sehr geschickt mit ihren weiblichen Waffen, dass er sie in die Arme schließt, ein insgesamt guter Deal für alle. Der Anfang war Überzeugungsarbeit. Es war die Idee von Regisseur Carsten Kirchmeier, diesen Stoff zu inszenieren. Er überzeugte Generalintendant Michael Schulz nach langen Gesprächen wie auch Hauptdarstellerin Anke Sieloff, die als Dolly sogar auf einem überdimensionierten Löffel auf dem Bühnenturm einschwebt. So wohl war ihr bei dieser Flugnummer nicht, sie hat es aber gut überstanden und auch sonst ihre Rolle wunderbar gemeistert. Manchmal muss man auch zu seinem Glück gezwungen werden, was als ausgebildete Opernsängerin auch ihre Zweifel am Genre Musical betrifft. Sie kann es, mischt sich in ihrer Rolle überall ein, ist neugierig und herrisch. Herausgekommen ist eine klassische Version, die in keinster Weise angestaubt wirkt. Die Sprachtexte sind auf Deutsch, die Songs auf Englisch, was musikalisch den Broadway nach Gelsenkirchen bringt. „Hello Dolly“ verkörpert Romantik, Listigkeit, amerikanische Werte, Humor, Liebe und eine gewisse Portion Vernunft. Darüber hinaus steht die Emanzipation im Vordergrund, während das griesgrämige Unternehmergehabe aufgebrochen wird. Mal weht die US-Flagge, aber eher im Hintergrund. Von Nationalismus kann keine Rede sein. Die Figuren stehen im Mittelpunkt, auch die, die weniger Präsenz haben. Niemand kommt zu kurz. Alle haben mindestens einen großen Auftritt. Definitiv glänzen die Kostüme (Beata Kornatowska). Ein großes Lob für so viel Arbeit an die Kostümabteilung. Jede Farbkombination, jeder Stoff und verschiedenste Schnitte wurden gefühlt verwendet. Insgesamt ist das Ensemble sehr stimmig gekleidet, besonders wenn der MiR Opernchor auch noch stimmgewaltig und spielerisch agierend auf der Bühne steht. Wie so oft im MiR wird der Chor wieder stark gefordert. Ebenfalls ein Hingucker ist die Bühne (Jürgen Kirner). Klasse, wie variabel die Elemente miteinander harmonieren und einsetzbar sind. Einige Gegenstände in XXL-Größe bieten tolle Spielflächen mit weiteren Ebenen oder Verstecken, die im Notfall Deckung bieten, sich in ein Nobelrestaurant oder einen Gerichtssaal verwandeln. Die riesige Kasse des Horace Vandergelder dominiert das Bühnenbild. Selbst aus der letzten Reihe im Saal ist das Bühnenbild ausgezeichnet wahrnehmbar. Ein Musical ohne ausgebildete TänzerInnen ist nicht denkbar. Sechs von ihnen geben dem Stoff die gewisse Würze. Die Choreografie stammt von Paul Kribbe, der die Tanzelemente geschickt in das Geschehen eingebaut hat, ohne dass die Bewegungen zu sehr in den Vordergrund treten. Die tänzerische Dynamik kommt auf jeden Fall gut zur Wirkung. Musikalisch hatte bei der Premiere Peter Kattermann die Leitung der Neuen Philharmonie Westfalen. Damit es auch schön amerikanisch klingt, ist das Orchester überwiegend aus Streichinstrumenten und Blechbläsern zusammengesetzt. So stellt man sich hier in Deutschland ein amerikanisches Orchester vor, welches ein Musical begleitet. Der Sound stimmt. Es ist ein großer Broadway-Abend im MiR, der humorvoll, musikalisch und optisch zündet, genau der richtige Stoff in ansonsten schwierigen Zeiten. Für 160 Minuten einfach mal den trüben Nachrichtenalltag vergessen und sich bestens unterhalten lassen. Im MiR hat man sich noch lieb. Datum: 13. Januar 2024 www.musiktheater-im-revier.de |
Premierenfeier mit Generalintendant Michael Schulz (l.), Foto: Jehle nächstes Foto |