Mit dem sehenswerten Musical „Anatevka“ zeigt die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf eine jüdische Familiengeschichte in der Ukraine, die schließlich mit Verfolgung und Vertreibung endet. Regie führte Felix Seiler. Drei große Töchter, eine Heiratsvermittlerin, viele Traditionen und ein Vater als Entscheider, das sind die Hauptzutaten einer Geschichte, die tragisch enden muss. Totalitäre, staatliche Systeme gab es seit je her, genauso die Unterdrückten, die sich zwangsläufig auf der Flucht befinden. Vertreibungen Andersgläubiger haben eine lange Tradition. In diesem Musical sind es zufällig jüdische Menschen, symbolisch für jede andere Religion. Weltgeschichte und Gegenwart sind voll von gewaltsamem Heimatverlust. Die Zeit der Handlung ist 1905, also historisch angelehnt. Die Kinder sollen möglichst betucht einheiraten. Selbst bei Tevje (Andreas Bittl) und Golde (Susan Maclean) war es keine Liebesheirat. Es gibt die typischen Probleme im Dorf, wie die Armut, aber auch wenige relativ Wohlhabende, wie der Fleischer. Es ist ein Spiel zwischen Traditionen und gesellschaftlichem Aufbruch. Die drei Töchter suchen sich eigene Partner, düpieren ihren Vater damit, der sogar die jüngste Tochter verstößt und doch dabei verliert. Seine verbliebene Dorfgesellschaft muss vor den Russen in alle Welt fliehen, so wie die Töchter aus Liebe und selbstbestimmt ihren Weg gegangen sind. Das Festhalten an Traditionen erweist sich als Irrweg, trotz der Lebenslust und vielen Feiern im ersten Teil. Später sind es die Abschiede innerhalb der Familie, die die Melancholie transportieren. Der Geiger auf dem Dach, sehr schön gespielte Solo-Violine (Annika Franke), fragt nach den Richtungen, die wir im Leben einschlagen. Wohin verschlägt es wen? Die Inszenierung ist klar nachvollziehbar, auch weil das Bühnenbild herrlich auf zahlreiche Tücher auf Wäscheleinen reduziert ist. Die tanzen ein Ballett, sind je nach Szene und Licht verschieden angeordnet und symbolisieren ganz hervorragend das Dorf. Traditionelle Musik, also Klezmer, Akkordeon und Violine bestimmen den Klang, dargeboten von den Düsseldorfer Symphonikern. Acht Tänzer präsentieren dazu traditionelle Hochzeitstänze, die das Geschehen sehr beleben. Tevje ist fast ständig auf der Bühne, seine Familie in Blau gut zu erkennen, bei all den vielen Personen. Der große Opernchor macht optisch und gesanglich jede Menge her. Auch der Humor wird gut sichtbar. Gott ist da so ein Thema. Immer wieder gibt es bei Tevje Gebete für alle möglichen Alltagsprobleme. Egal welche Religion wird allgemein so auf die Schippe genommen. Gott kann doch alles, nur findet das Elend auf diesem Erdball leider kein Ende. Dieses 1968 in Deutschland uraufgeführte Broadway-Musical ist ein gelungenes Bildnis für das Unheil auf der Welt, für all die menschlichen Erniedrigungen und Konflikte, ein Blick zurück, in die Gegenwart und die Zukunft. Am Ende heißt es hier „Let's go“ und irgendwo auf dieser Erde muss wieder ein Volk gewaltsam seine Heimat verlassen. Datum 26. Mai 2024 www.operamrhein.de |
Musical 'Anatevka' in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf, Foto: Sandra Then nächstes Foto |