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Schauspiel 'Doktormutter Faust' im Grillo Theater
Das Grillo Theater in Essen beginnt seine neue Intendanz mit der bemerkenswerten Uraufführung von „Doktormutter Faust“, frei nach J.W. von Goethe und nach einer Vorlage von Fatma Aydemir. Regie führte Co-Intendantin Selen Kara.

Es hat sich etwas getan am Grillo. Mit einem Eröffnungs-Tag gingen bereits am Nachmittag die Türen auf. Es gab Musik, eine Lesung im Café Central sowie die Möglichkeit, einige Schauspieler oder die die neue Intendanz in einen Speed-Dating zu treffen. Dabei standen die Meinungen zu gewissen Themen auf dem Plan und die Gäste im Mittelpunkt. Man möchte auch in Zukunft mehr auf die Gäste zugehen, um Dinge zu verbessern.

Abends war anschließend die lange erwartete Premiere im großen Saal auf dem Programm. Regisseurin Selen Kara und die Autorin Fatma Aydemir kennen und schätzen sich schon lange. So kam es zur Auftragsarbeit, deren Entstehung in den ersten Minuten auf der Bühne Bestandteil des Stücks ist. Warum eigentlich „Faust“ und warum ohne Gretchen? Geht das überhaupt? Ein gewisses Risiko war durchaus vorhanden, den Start unglücklich zu gestalten.

Mit Bettina Engelhardt hat man eine neue Schauspielerin im Ensemble, die die Rolle der Margarete Faust mit ihrer reichen Bühnenerfahrung sehr gut darstellen kann. Es sind jede Menge Text und Emotionen zu verkörpern, zumal die Bühne über lange Strecken ziemlich reduziert erscheint und erst spät ihre wahre, optische Atmosphäre entfaltet. Über lange Strecken ist sie eine spartanische Spielwiese für Dialoge, die so mehr in den Vordergrund treten. Mit auf der Bühne stehen Eren Kavukoglu, Silvia Weiskopf, Beritan Balci sowie als Gast Nicolas Fethi Türksever. Letzterer ist eine Woche vor der Premiere für für den erkrankten Alexey Ekimov eingesprungen. Er liefert als Mephisto eine große Rolle ab, genau wie Beritan Balci, die frisch von der Schauspielschule aus München kommt. Da hat man sich ein sehr ausdrucksstarkes Nachwuchstalent geangelt.

Es ist durchaus eine gute Idee, die männliche gegen eine weibliche Hauptrolle zu tauschen. Sie zeigt aber auch, dass der Feminismus, wenn der vorhandene Grenzen überschreitet, zu ähnlichem Missbrauch fähig ist, wie bei einer männlichen Machtfigur. Ihre Professorenrolle nutzt sie eindeutig dazu, um dem Dokoranten Karim körperlich näher sein zu können, auch wenn sie später im Kerker die Tatsachen umdreht und alles bestreitet. Der Bezug zu heute ist sichtbar, auch bei anderen Themen wie dem verstärkt aufkommenden Rechtsradikalismus, z.B. durch die AfD. Solche Einflechtungen stehen allerdings gefühlt inhaltlich im Schatten des Feminismus-Aspekts. Es ist Geflecht an Themen eingearbeitet.

Die Inszenierung enthält auch Videoelemente oder eine Reihe von leeren Glasflaschen, die geschickt eingesetzt werden. Beide Elemente vermitteln die nicht zu übersehende Note einer Kunstinstallation. Das Brutale des Kerkers wird so aufgebrochen. Im letzten Drittel spielt man auch geschickt mit dem Licht, besonders wenn die Körperlichkeit sichtbar wird. Im gedimmten Licht mit etwas Nebel lässt sich so eine Idee umsetzen, ohne die schlichte Nacktheit zeigen zu müssen. Zum Ende hin gewinnt das Stück an positiver Atmosphäre und Ästhetik. Text und Bühne finden hier zueinander.

Der Text ist eine Mischung aus unser heutigen Umgangssprache und de historischen Text. Man entstaubt die Sprache und macht die Dialoge somit verständlicher. Eine Prise Humor ist ebenfalls enthalten. Hin und wieder empfindet man diesen aber auch als einen Anflug von Comedy. Humor ist grundsätzlich Geschmackssache. Den eher jüngeren Zuschauern hat er scheinbar gefallen, den Lachern und dem Applaus zu urteilen.

Am Grillo hat ganz offensichtlich eine neue Zeitrechnung begonnen. Stammgäste des Theaters müssen sich nun auf andere Bühnendarstellungen einstellen. Die Handschrift der neuen Intendanz ist schon jetzt sehr sichtbar geworden. Es wird moderner, avantgardistischer, experimenteller, mutiger, die Grenzen auslotend und definitiv anders, besonders wenn Selen Kara selbst inszeniert. Die Reaktionen des Premierenpublikums waren gespalten, von leisem, zweifelndem Händeklappern, bis hin zu euphorischem Applaus von eher jungen Menschen. Auf der sehr gut besuchten Premierenfeier merkte man schon deutlich den Wandel des Publikum. Es ist jünger und zahlreicher. Ob dies auch so bleibt wird die Zukunft zeigen. Noch hat die neue Intendanz eine Art Welpenschutz, falls das Stadtpublikum mal den Daumen senken sollte.

Datum: 9. September 2023

www.theater-essen.de